Zum Blockhaus am Fortymile

Von den launischen Herren des Espenwaldes

von mayer ( Jürgen Sesselmann )
 


Die Geschichte ist noch unveröffentlicht.

Ende des Sommers 1980
, Yukon Territorries, Kanada mayer / © Jürgen Sesselmann

 
 

Leuchtende Bachkiesel im Pflaster der Fahrten

 

Grey Squirrel

Künstler unbekannt


Es war bereits Spätsommer im Yukon Territorry und erste Nächte begannen bereits merklich kühler zu werden. Die Nase meines schwerbeladenen Kanus tanzte bereits wieder. Unruhig wippte sie auf und ab. Die nächsten Stromschnellen kündigten sich an.
„Du mußt nur ein paar Meilen den Fortymile aufwärts paddeln, dann siehst du linker Hand bereits den schmalen Eingang des Seitentales. Die alte Hütte ist leicht zu finden. Etwa eine Stunde Fußmarsch durch dichten Urwald.“ - Dies hatte ich von nahen Anwohnern in einem neuerbauten Blockhaus erfahren, als ich ihnen einige Tage bei den gerade anstehenden Dacharbeiten geholfen hatte. Eine erfrischende Abwechslung zum Fahrtenalltag der letzten Monate. Und als kleines Dankeschön erhielt ich die Wegbeschreibung zu einer leerstehenden, intakten Blockhütte mitten in einem unberührten Espenwald.

Des Herumziehens über die Monate war ich müde geworden. Seit Ende April befand ich mich nun schon auf Fahrt. Durch Island, USA und Mittelkanada war ich mit Gefährten getrampt und später auf einer 4-wöchigen Floßfahrt mit Ordenskameraden auf dem Yukon River nordwärts getrieben. Und hier im Nordwesten Kanadas erstmals alleine unterwegs, paddelte ich mit meinem Kanu auf dem Fortymile River Richtung Alaska. Ich suchte nach einem guten Platz zum Überwintern nahe der Grenze Alaskas. Und ein alleinstehendes Blockhaus mitten im Wald klang für mich deshalb sehr verlockend.

Nicht weit voraus erkannte ich die nächsten weiß aufschäumenden Stromschnellen. Das bedeute für mich wieder in kaltes Wasser zu steigen und mein Kanu durch wirbelnde Wasser, vorbei an sperrenden Felsbrocken zu ziehen. Meine Leinenturnschuhe begannen bereits jetzt erste Auflösungserscheinungen zu zeigen, doch ohne Sicht auf den Grund kam ein Barfußlaufen nicht in Frage. Jedes Stolpern ließ mich und das Kanu bestenfalls erneut nur stromab spülen. Dies hatte ich bereits weiter unten leidlich erfahren müssen. Das grautrübe Gletscherwasser des Fortymile Rivers, der an seinem Ende den Yukon speiste, war hier zu reißend.

Einen Tag später hatte ich das kleine Seitental noch immer nicht gefunden, doch ein neues Hindernis stellte sich meinem Vorankommen in den Weg. Eine sehr große Stromschnelle gespickt mit Wasserfällen - die Fälle waren zwar nur klein, doch hier konnte ich niemals hinauflaufen und schon garnicht ein Kanu hinter mir herziehen. Die steilen Seitenwände bestanden aus glattem, naß glänzendem Fels. Von hier aus konnte ich ein Umtragen des Wasserfalls nicht bewerkstelligen. Auch ein längerer Erkundungsmarsch, er sollte mir einen anderen Weg aufzeigen, wie dieses Hindernis zu umgehen sei, erbrachte nur niederschmetternde Erkenntnisse. Hier war für mich endgültig Schluß, wollte ich auch weiterhin dem Fortymile folgen. Schwer enttäuscht trat ich den Rückweg an.

Während der Rückfahrt, dieses Mal die Stromschnellen flußabwärts durchfahrend, stellte sich heraus, daß das mühsame Durchziehen dieser auf dem Hinweg nicht schwerer, sondern eher leichter gewesen war. Viel zu oft durfte ich jetzt das vollgelaufene Kanu entladen und das Wasser wieder herauskippen. Bei einer dieser mühseligen Kanuentleerungen sah ich auf einmal diesen gesuchten kleinen Taleingang. Stromab war er gut zu erkennen. Ich aber hatte ihn stromaufziehend einfach übersehen. Er lag auch sehr versteckt und zugewachsen hinter einer Wasserkehre. Den Wasserfällen ist mein Dank dafür sicher, daß sie mich zur Umkehr zwangen. So hatte ich mich überflüssigerweise nur einen Tag stromauf durch die Stromschnellen gekämpft. Wer weiß wie viele es sonst hätten werden können?
Der Tag begann bereits seinem dunklen Ende entgegen zu eilen. So nutzte ich das verbleibende Licht dazu, meinen allabendlichen Kontrollgang durch die nähere Umgebung des Biwakplatzes durchzuführen. Ich wollte ungern von einem hungrigen Bären geweckt werden, der sich über meine Lachsvorräte hermachte.

Die Wegbeschreibung war für mich bis jetzt nicht sehr hilfreich gewesen. Hoffentlich entsprach die gesuchte Hütte wenigstens den Erzählungen. Erwartungsvoll betrat ich am nächsten Morgen einen unauffälligen Espenwald. Bei jedem Schritt versanken die Schuhe im tiefen, feuchten Moos des Waldbodens. Viele Mücken wurden bei jedem meiner Tritte emporgewirbelt und taten das eine, was sie wirklich gut konnten: Stechen. Alles Schlagen half da wenig, stoisches Ertragen war hier das einzig sinnvolle Mittel. Plötzlich fuhr ich erschrocken zusammen. Nahe meines rechten Ohres begann etwas ohne Vorwarnung mit beachtlicher Lautstärke in dieses hinein zu schreien. Nach dem ersten Schreck entdeckte ich dann aber nur ein kleines, unscheinbares, graues Eichhörnchen am Ende eines wippenden Astes. Es hatte sein Fell hoch aufgestellt und seinen buschigen Schwanz fast so breit wie seinen ganzen Körper aufgebläht. Und es schrie und zeterte auch weiterhin ohne Unterbrechung. So, als könne es sich einfach nicht beruhigen und tanzte erbost von Ast zu Ast. Da es keinen bedrohlichen Eindruck auf mich machte, obwohl genau das sein eigentliches Ansinnen war, genoß ich diesen wütenden Wicht ausgiebig. Als ob ihn mein ruhiges Beharren am Fleck noch mehr in Rage versetzen würde, wurden seine Bewegungen noch aufgeregter, seine Rufe noch schriller.

Nach einer Weile schulterte ich meine Rucksack wieder und marschierte weiter. Ein altes Blockhaus wartete auf mich. Ich wollte es unbedingt noch an diesem Tag finden und ließ den tobenden Zwerg hinter mir. Ein paar Bäume weiter weg verstummte der graue Gnom schlagartig. Ich schaute sicherheitshalber nochmals zurück, ob mir das nervige Hörnchen auch nicht durch die Espen gefolgt war. Doch das saß weiterhin stumm auf seinem Ast und äugte mißtrauisch zu mir herüber. So drehte ich mich wieder langsam herum, denn mit meinem schweren Gepäck am Rücken sollte ich zu schnelle Bewegung vermeiden. Da begann direkt über mir das gleiche Spektakel erneut. Ein weiteres dieser grauen Hörnchen tobte knapp über meinem Kopf. Nach dem Klang und der Lautstärke des Stimmchens zu schließen, müßte es eigentlich einen knallroten Kopf haben, auch wenn es den garnicht bekommen konnte. Doch genauso klang seine Stimme, unglaublich wütend. Jetzt, nicht mehr erschreckt, denn eher belustigt, zog ich auf meiner Suche weiter. Und alle vier bis sechs Bäume spielte sich ein ähnliches Schauspiel erneut ab. Ein grauer Schatten schoß aus den Wipfeln herab, verunglimpfte und verschmähte mich lautstark und verstummte erst wieder, nachdem ich ihn etliche Bäume hinter mir gelassen hatte. Doch dort hockte bereits der nächste Schreihals und tat ein Ähnliches. Alles glich doch verblüffend einem Spießrutenlauf eines Landsknechts im Dreißigjährigen Kriege. Ich hatte längst mit dem Zählen dieser schreienden, grauen Squirrels aufgehört. Doch es waren viele, wirklich sehr, sehr viele Eichhörnchen gewesen.

Zuerst bemerkte ich die Veränderung nicht. Doch dann fiel sie mir doch auf. Um mich herum war es mit einem Male still und blieb es auch. Der Espenwald war wieder so, wie er normalerweise sein sollte. Ein stetes Rascheln der Espen, hier und da der Ruf eines Vogels, doch kein lautes Zetern von erzürnten Hörnchen. Während ich noch entspannt diese Ruhe genoß, entdeckte ich das Dach der Hütte nicht weit voraus. Die Blockhütte stand gut versteckt zwischen den silbernen Stämmen der grünen Espen und lauschte ihrem sommerlichen Lied. Mein Heim für die nächsten Wochen, vielleicht sogar für den ganzen Winter im Norden der Yukon Territories, lag vor mir. Und die Hütte übertraf meine kühnsten Erwartungen und entschädigte mich aller Strapazen. Sie hatte sogar einen intakten Barrel Stove und zusätzlich einen kleinen, blechernen Koch- und Backofen. Diffuses Sonnenlicht fiel durch das einzige kleine Fenster auf einen verstaubten Holztisch mit Stuhl. Hier war sehr lange kein Mensch gewesen. Im Holzfußboden war einen kleine Klappe angebracht. Unter ihr befand sich der Kühlschrank des Hauses. Ein geräumiger Hohlraum im Permafrostboden des Nordens. Der Vorraum des Blockhauses eignete sich hervorragend zum trockenen Einlagern größerer Mengen benötigten Brennholzes. Alles in allem eigentlich perfekt. Bis auf – Warum lebten hier in den Espen um die Hütte keine Squirrels? Eine befriedigende Antwort auf diese mir wichtige Frage sollte ich doch nie erhalten. So nahm ich diese Situation als ein Willkommen der grauen Herren des Espenwaldes. - Nun konnte der Winter kommen.



Zum Lied, das auf diesen Erlebnissen fußt :

—> Im Reich der grauen Squirrels

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Jürgen Sesselmann (mayer)
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