Der Türmer


Trotz manchen, einem fremden Volkstum entnommenen Stoffen darf man Börries von Münchhausen bezeichnen als den Dichter deutscher Mannhaftigkeit. Schon die Namen seiner Gedichtsammlungen: Das Ritterliche Liederbuch, Die Balladen und Ritterlichen Lieder, Das Herz im Harnisch, Die Standarte, Das Schloß in Wiesen weisen alle in diese Richtung. Leben und Dichtung sind in diesem Manne eins geworden.
So gewiß Münchhausen als Mensch und als Dichter ohne das ihm durch Vätererbe im Blut und in der äußeren Lebensgestaltung Überkommene nicht zu denken ist – so gewiß der Dichter ein ganz starkes Empfinden für diese Werte hat, so offensichtlich ist auch jedem, der ihn kennt, das andere: Nicht leicht kann ein Vertreter seines Standes allem kastenhaften Dünkel, allen überlebten Standesvorurteilen schärfer Fehde ansagen, als es Münchhausen tut. Adel ist ihm Verpflichtetsein, ist Ritterlichkeit, bedeutet für ihn: Achtung haben vor fremder Gesinnung, Anerkennung des Echten, wo immer es sich findet. Nur die Leistung entscheidet; erst wenn sie zum Adel hinzutritt, bekommt die Null ein Wertvorzeichen. –

Der Dichter ist als Sproß eines alten niederländischen Geschlechts am 20. März 1874 in Hildesheim geboren. Seine Kinderzeit hat er auf den bei Göttingen, Hannover und Altenburg gelegenen Gütern seines Hauses verlebt. Das Beste für sein Leben gab ihm sein Elternhaus mit. Vater wie Mutter waren geistig ungewöhnlich hochstehende Menschen. Die Unterhaltung daheim war rein wissenschaftlich und künstlerisch. Über andere Menschen sprach stets voll Wohlwollen und ganz sachlich. Schon als Kind wurde er von seiner Mutter in den Bereich der Volksdichtung eingeführt; vielfältige Anregung erwuchs ihm für seinen Dichterberuf aus dieser frühem Beschäftigung mit Volkslied und Märchen. Auf der Schule war er – wie er immer wieder freimütig gesteht – ein schlechter Schüler; aber schon hier begann sein Dichten. Manche von damals entstandenen Gedichten stehen als gute und wertvolle Balladen noch heute in seinen Büchern. Nachdem er das Reifezeugnis erworben hatte, studierte er von 1895 bis 1901 in heidelberg, Berlin, München und Göttingen Rechts- und Staatswissenschaft und machte Referendar- und Doktorexamen. Daneben trieb er philosophische, naturwissenschaftliche und medizinische Studien, besuchte Italien, Sizilien und Dänemark, nachdem er zuvor einige Male mit Zigeunern durch Süd- und Westdeutschland gewandert war. Nach seiner Verheiratung mit Anna von Breitenbuch, die ihm aus ihrer ersten Ehe mit dem Rittergutsbesitzer Dr. Crusius zwei Stiefkinder zubrachte und ihm einen Sohn gebar, lebte Münchhausen bis zum Kriege in Sahlis in sachsen, seit Kriegsende in seinem „Schloß in Wiesen”, Windischleuba bei Altenburg. Den Krieg machte er bei dem Sächsischen Garde-Reiterregiment mit; in seinen Reihen kämpfte er in Ostpreußen, Polen und Kurland. 1916 wurde er in die militärische Stelle des Auswärtigen Amtes kommandiert, von der aus er wiederholt an die Front im Westen und auf den Balkab geschickt wurde. Bei seiner so ganz auf das Starke, Gesunde, Heldische eingestellten Art ist es kein Wunder, daß vor allem die Männer seiner Kunst besonders zugetan sind. Von der Feldausgabe seiner Balladen und Lieder wanderten allein in den letzten beiden Kriegsjahren an die 70.000 Stück hinaus in die Gräben; manches von ihnen fand, als Kugelfänger durchschossen und zerfledert, den Weg zum Dichter zurück. Insgesamt sind von Münchhausens wenigen Versbüchern 400.000 Bände ins deutsche Volk hinausgegangen – eine niemals früher von Gedichtbänden erreichte Zahl.

Als Münchhausens dichterisches Schaffen begann, war – unter der Einwirkung des Naturalismus – die Ballade so unmodern, daß er seine Balladen von allen großen Zeitschriften und Zeitungen zurückgeschickt bekam mit dem gleichbleibenden Vermerk: Balladen dichtet und liest man nicht mehr. Jahrelang hat er um die Anerkennung dieser kraftvollen und farbenprächtigen Dichtungsgattung kämpfen müssen. Erst um die Jahrhundertwende schlug die Stimmung um, nicht zuletzt vermöge der von ihm geleisteten Vorarbeit.
Von der Stadt aus, von der ein Jahrhundert früher die deutsche Ballade als Kunstdichtung ihren Ausgang genommen hatte, als Gottfried August Bürger im Göttinger Musenalmanach seine unsterbliche „Lenore” veröffentlichte, sollte sie zum zweiten Male ihren Weg ins deutsche Volk antreten.
In den seit 1896 erneuerten Göttinger Musenalmanach fand sich Münchhausen mit Agnes Miegel, Lulu von Strauß und Torney, Ludwig Finckh, Hugo Salus, Carl Bulcke, Levin Schücking u.a. zur Pflege der deutschen Ballade zusammen: „ihr wieder den Platz einzuräumen, der ihr gebührt, das soll in Zukunft die Hauptaufgabe des Göttinger Musen-Allmanach sein” – so schrieb der Dichter im Vorwort zu einem dieser von ihm herausgegebenen Almanache. Nachdem so der Königlichen Dichtung– wie Münchhausen sie gern nennt – eine Heimstätte bereitet war, trat sie einen Siegeszug ohnegleichen an; ja sie wurde so sehr Mode, daß Münchhausen sich gegen seine vielen Nachtreter und Nachbeter in seiner „Kapuzinade an die Kanniballadiker” mit aller ihm in solchen Lagen zu Gebote stehenden Herzhaftigkeit wandte.
Nie hat Münchhausen um die Gunst des Tages gebuhlt; es lag ihm nichts daran, Modedichter zu werden. Wenn seine Balladen in so weitgehendem Maße Gemeingut des Volkes werden konnten, so verdanken sie das der Echtheit ihres inneren Gehaltes und der künstlerischen Selbstzucht, die der Dichter sich selbst und seinem Werke gegenüber immer geübt hat.

Die Stoffe zu seinen Dichtungen hat der Dichter aus aller Welt genommen; scheinbar zufällig, willkürlich. Auch er selbst hat sich lange zeit darüber keine Rechenschaft gegeben. Unbewußt, instinktmäßiggriff er sie auf, wie sie sich zufällig ihm darboten, während andere Vorwürfe, die zu balladenhafter Gestaltung besonders geignet schienen, ihn nicht zu dichterische Behandlung reizten. Esrt viel später wurde ihm deutlich, daß in allen von ihm verwerteten Stoffen irgend etwas dem tiefsten Erleben seiner eigenen Seele entsprach. Bei aller scheinbareb Objektivität sind Münchhausens Balladen ichbetont; aus allen schaut letzten Endes des Dichters eigene Persönlichkeit heraus; jede einzelne wird ihm zu einem Stück Selbsterlösung. –
Mit welcher Liebe geht Münchhausen allen Mödlichkeiten nach, die die deutsche Sprache mit ihrem Reichtum dem Dichter an die Hand gibt! Wie in der Wahl der Worte, wie in der Tonmalerei – so zeigt sich Münchhausen auch in der Behandlung des Satzgefüges, des Rhytmus als Meister. Es bedarf nicht erst des Hinweises, daß hinter solcher Sprachbehandlung ein hohes Maß von Verantwortungsgefühl dem Kunstmittel Sprache gegenüber steht. –
Es wäre verwunderlich, wenn eine solche in sich so geschlossene Dichterpersönlichkeit neben dem balladischen Werk nicht auch auf dem Gebiete der Lyrik Wertvolles Geschaffen hätte. Schon die große Zahl der Vertonungen seiner Lieder [28 KB] macht das wahrscheinlich – bis heute sind es an 400. – Und es ist in der tat der Fall. Man schaue nur hinein in seine Liedersammlungen, und man wird empfinden, wie Münchhausen – so ganz deutlich in seiner Art – zu singen weiß vom Glück des Daheims, von der Liebe zur ererbten Scholle, von Abend und Morgen, von feld und Wald – Lieder voll Rhytmus, voll Seele und voll – des Menschen Münchhausen.
An äußerlichen Ehren hat Münchhausen alles einem Dichter nur Mögliche erreicht. Er ist Inhaber der silbernen Wartburgrose, Mitglied und Senator der deutschen Akademie der Dichtung, Domherr von Wurzen, Ehrendoktor der Philosophie von Breslau usw.

von Dr. Ritscher-Wernigerode

Der Türmer, Stuttgart

Quelle: aus einer Werbebroschüre der Deutschen Verlags-Anstalt, 1933

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