Die Welt
„Gnade Dir Gott, Du Ritterschaft”
Vor 100 Jahren wurde der Balladendichter Börries, Freiherr von Münchhausen geboren
Unsere Literatur kennt keine Balladen mehr. Der letzte große Vertreter dieses Genres, der heute vor 100 Jahren in Hildesheim geborene Dichter Börries, Freiherr von Münchhausen, aus einer über 700 Jahre alten niederländischen Adelsfamilie stammend, war schon zu seinen Lebzeiten nicht unumstritten.
Der Freiherr auf Schloß Windischleuba bei Altenburg war dennoch ein recht erfolgreicher Wiedererwecker der sogenannten spätbürgerlichen Ballade, er nahm um 1900 Fäden wieder auf, die Graf Strachwitz, Liliencron, Fontane und andere gesponnen hatten. Mit seinen „Ritterlichen Liedern”, mit denen er Stand und Standesgenossen (die zu „Schild und Helm” geborenen, denen die Sorge für den kleinen Mann aufgegebn war) besang, wollte er ganz bewußt der letzte Künder von adeliger Tugend sein in einer Zeit, in der die Vorrechte der Geburt erloschen. Von Münschhausen, einem vollendeten Edelmann, soll die Sentenz stammen: Wer mit zwanzig nicht Sozialist gewesen sei, habe kein Herz, wer mit vierzig nicht konservativ denke, habe keine Vernunft. Seine Jugend verlief nicht ohne Widersprüche. Der Erbe von sieben Rittergütern zog mit Zigeunern durch die Lande, gründete als Jurastudent 1897 den Göttinger Musenalmanach, in Erinnerung an die Balladendichter des Hain-Bundes. Mit 26, mit 30 Jahren erscheinen dann die ersten Balladen, das Buch Juda, das Ritterliche Liederbuch, die Edda-Lieder, alles Bücher, die für Lyrik ungewöhnlich hohe Auflagen erreichten. Was ihn am stärksten zur Adels- und zur Juda-Dichtung zog, war das Bild des vom Untergang bedrohten, einst strahlenden Standes. Im Grunde war nichts „spezifisch Preußisches” in ihm — sein Vorbild war vielmehr die unverbrüchliche Treue des welfischen Adels zum 1866 beseitigten Königshaus. Als Reserveoffizier diente er auch nicht dem preußischen König, sondern dem König von Sachsen im Gardereiter-Regiment in Dresden.
In dunklen Farben glühen die Worte in der Mauer-Ballade, auf den Untergang des französischen Adels 1794 geschrieben: „Monteton, wo ist Deine Mauer? — Chalençon, wo ist Dein Schwet? — Wo ist Dein Turm, Tournefort?" Ganz andere Töne klingen in dem Lied auf den Bauernkrieg an: „Gnade Dir Gott, Du Ritterschaft — Der Bauer stund' auf im Lande ...” Im Herzen hat Münchhausen wohl gespürt, daß das „Gnade Dir Gott, Du Ritterschaft” sich in anderer Form vor seinen Augen noch einmal verwirklichte, im Aufstand der Massen, in der Vergötzung des Geldes ...
Der Dichter wurde in Ehren gehalten, auch im Dritten Reich, dem er fremd gegenüberstand. 1934 verlor er den einzigen Sohn durch einen tragischen Autounfall. 1945 kam die Stunde für Windischleuba, dem Schloß im Wiesengrund, dem er einen eigenen Gedichtband gewidmet hatte. Am 16. Januar 1945 verstarb seine Frau, Flüchtlinge aus dem Osten füllten das Schloß. Acht Wochen nach dem Verlust seiner Frau gab sich der letzte Romantiker des Rittertums am 16. März 1945 den Tod. Er wollte weder amerikanische noch rote Panzer in Windischleuba einrollen sehen.
von Walter Görlitz
Die Welt
Quelle: Zeitungsartikel aus „Die Welt”, vom 20. März 1974
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