Hamburger Abendblatt


Während man dieses Buch liest, fühlt man sich auf eine salzwasserumrauschte Fregatte mit abenteuerlichen Zielen versetzt, wobei ein charmanter Zephyr an den brassen hantiert und in den Riggen einen Shanty tremoliert, bis der pausbäckige Boreas ihn vertreibt und die Wellen türmt. Beide sind schön, und dieser Roman einer Meeresströmung ist auf jeder Seite schön.
Hans Leip erzählt ihn Tlaloca, der Tochter des Windgottes Tlaloc, dieser Nixe des Golfstroms, die auf ihrem teils geschwind, teils gemächlich dahinströmenden Warmblüter den Atlantik durchflügt und die Unruhe des weißen Mannes auf dem Gewissen hat. Ein kleines Mädchen muß sowieso bei jeder Sache sein, die Hans leip Spaß machen soll, und wenn er in ihrer Begleitung gar einem freundlich grinsenden Nigger begegnet, so kommt er in große Form. Nigger gibt es genug, in diesem Buch, lebendige und tote, mehr als sie das europäische Gewissen ohne Beunruhigung betrachten kann.
Ja, er beunruhigt, er regt auf, dieser Roman des Golfstroms, der wie jeder richtige Roman nicht nur einen Helden, nämlich den Golfstrom, besitzt, sondern eine Planung mit Steigerung, Nebenhandlung, Verzweigungen, Spannungen, Ironie, Humor und allem, was nottut. Nur die Langeweile fehlt, obwohl sie bei einem wohlerzogenen Roman eigentlich dazugehört. Man sucht sie vergebens, die Sprache hat sie vertrieben, dieser subjektive Stil, der uns immer wieder in Entzücken versetzt und jede Abschweifung kurzweilig macht. Es ist das tragende Element des Buches, er sichert ihm die Einheit bei aller Mannigfaltigkeit, und er unterscheidet es von ähnlichen Unternehmungen. Gebannt sieht man ihm zu wie den Kapriolen sich überschlagender Brandungswellen oder dem zuckenden Aufleuchten ferner Gewitter.
Es wird entwickelt, wie so der Golfstrom mit seinen wetterwendischen Launen und Tücken, seinen Hurrikans und Zyklopen das gesicht und den Charakter des Europäers geformt hat, bis er ihm mit seinem unruhigen Tatendrang wie ein Bruder gleicht, der die innere Muße, die beschauliche Weisheit östlicher Völker verloren hat. Diese Betrachtung bildet den reizvollen Auftakt des Romans. Es folgen erregende Kapitel europäischen Tatendrangs im Zeitalter der Entdeckungen, das erst durch Richtung und aufputschende Wärme des Golfstroms ermöglicht wurde, denn ohne den großen Fluß im Meer wären wir alle friedliche Eskimos ohne Geld, ohne Gier, ohne Ruhm und reinen Herzens geblieben.
Doch nicht von Katastrophen Und Gewalttaten allein kann in einem umfassenden Roman die Rede sein, man wird auch von friedlichen und schönen Dingen lesen, vom Shanty an der Winsch, von den Wundern der Tiefsee, vom Eisbergkalben, bvom geheimnisvollen Werdegang eines Aales, von seltsamen Seeabenteuern. Dies und noch mehr spiegelt sich an Hans Leips Worten, wie die bunten Steine eines Kaleidoskops. — Der große Fluß im Meer, 1954

Hamburger Abendblatt

von Eduard Thorn

Quelle: aus dem Umschlagtext der Darstellung Der große Fluß im Meer des Paul List Verlag, 1955

nach oben

(c) 2009-2022 - Alle Rechte vorbehalten
Jürgen Sesselmann (mayer)
Zur Nutzung meiner Lieder und Geschichten